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Diskussion um Betreuungsgeld: SPD wettert mit angestaubten Zahlen gegen "Herdprämie"
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Mit Kind
dpa/Julian Stratenschulte Beim Betreuungsgeld spielt Ideologie eine große Rolle
  • FOCUS-online-Gastautorin

Gerade sozial benachteiligte Familien bevorzugen das Betreuungsgeld gegenüber frühkindlicher Bildung. Das ist das Ergebnis einer Studie, die jetzt bekannt wurde. Schon sehen sich SPD und Grüne bei ihrem Kampf gegen die "Herdprämie" bestätigt. Allein: Die Daten wurden vor Einführung des Geldes erhoben.

Man nehme alte Ressentiments, Fakten, die keine sind, eine hohe Dosis politischen Eifer und eine Prise Ausländerfeindlichkeit und voila, schon hat man eine neue Debatte zum Betreuungsgeld. Angezettelt wie üblich von der SPD und flankiert von Vertretern der Grünen – beides Parteien, die schon immer gegen die Einführung dieser Familienleistung waren und bis heute sind. Es muss ihnen ein echter Dorn im Auge sein, dass Eltern nach wie vor gerne selbst erziehen und ihre Kinder nicht schon im Babyalter in eine Krippe geben wollen.

Derzeit wird in allen Medien und Agenturen die Meldung zitiert, wonach Migranten und sogenannte „bildungsferne“ Eltern überproportional häufig das Betreuungsgeld nutzen würden und selbstredend ist das nun ein Problem. Hamburgs Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) spricht von „falschen Anreizen“. Gerade bei der Sprachförderung zeige sich, wie wertvoll die Betreuung und Bildung in einer Kita sei. Ergo: Dies wertvolle Angebot wird den Kindern aus den entsprechenden Familien vorenthalten.

Unser Bildungssystem ist mangelhaft 

Ins gleiche Horn blasen SPD und Grüne in NRW. Dort weiß die SPD-Fraktionsvorsitzende Britta Altenkamp, dass das Betreuungsgeld am Bedarf der Familien vorbeigehe, was sich aber leider nicht mit den Zahlen des statistischen Bundesamtes deckt, das einen weiteren Anstieg bei den Antragszahlen verzeichnet. Ihre grüne Kollegin im Landtag NRW, Sigrid Beer, moniert, das Betreuungsgeld verschärfe Bildungsungleichheit und setze damit auch wieder falsche Anreize.

Ihr wiederrum scheint nicht bekannt, dass alle Studien beweisen, dass unser Bildungssystem es nicht schafft, soziale Unterschiede auszugleichen. Es ist also mangelhaft - und genau in dies System sollen nun alle Kinder am besten ab dem ersten Lebensjahr gepresst werden. Den Kindern aus bildungsnahen Familien würde damit der Standortvorteil eines guten Elternhauses genommen und damit das  Bildungsniveau aller Kinder angeglichen – nämlich gemeinsam nach unten.

Studie aus der Zeit vor dem Betreuungsgeld 

Dumm ist an der Geschichte aber vor allem, dass die Zahlen nichts wert sind, die die Politiker in der neu entfachten Debatte zitieren: Denn es gibt gar keine neuen Zahlen über die Nutzung des Betreuungsgeldes. Die Daten für die Studie der TU Dortmund, die als Beweis herangezogen wird, stammen aus dem Jahr 2013, als das Betreuungsgeld noch gar nicht existierte.

Der zuständige Studienleiter, Dr. Matthias Schilling, zeigt sich verwundert, dass hier Zahlen „ausgeschlachtet“ würden, weil sie manchen wohl politisch opportun erschienen. Man habe 2013 lediglich perspektivisch den Wunsch von Eltern erfragt. Die Studie war übrigens öffentlich nicht einsehbar – bis wegen der vielen Anfragen heute Nachmittag ein Kapitel online gestellt wurde.

Die „Bösen“ sind schnell ausgemacht 

Doch was sind schon banale Zahlen, wenn Ideologie am Werke ist? Die SPD in Hamburg klagt gerade vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Betreuungsgeld, da braucht es Argumente und plumpe, öffentliche Stimmungsmache. Und weil entgegen allen Unkenrufen, das Betreuungsgeld von den Familien gut und gerne angenommen wird – diese Nummer also nicht mehr zieht – ist die Strategie offenbar jetzt, dass man behauptet, die Falschen würden es beantragen. Also diejenigen, die es nicht können und deren Kinder zu Hause von dieser wertvollen Kitabildung ferngehalten werden. Die Bösen sind schnell ausgemacht: Migranten und sogenannte „Bildungsferne“.

Erstaunlich, zu hören, was die traditionsreiche SPD von diesen Menschen hält. Offenbar muss man heutzutage eine deutsche Abstammung und mindestens Abitur vorweisen, um nicht in Verdacht zu geraten, die eigenen Kinder zu vernachlässigen.  Interessant ist auch der Gedankengang, dass eine soziale Leistung abgeschafft werden soll, weil vor allem sozial Schwache sie nutzen – genau unter diese Abteilung fallen ja viele bildungsferne Familien oder auch Migrantenfamilien. Mit dieser Argumentationskette sollten sich alle Hartz-IV-Empfänger schon mal warm anziehen. Doch seltsamer Weise diskutieren auch SPD und Grüne bei dieser Leistung niemals über die Abschaffung, sondern stattdessen über die Erhöhung der Gelder.

  

Allgemeines Misstrauen gegen Eltern 

Genaugenommen ist das allgemeine Misstrauen gegen Eltern viel weiter verbreitet, als nur gegenüber Migranten oder Bildungsfernen -  gerade in der SPD. Wir erinnern uns, Peer Steinbrück redete einst im Bundestag im Zusammenhang mit dem Betreuungsgeld bereits den Untergang des Abendlands herbei und sprach von der „bildungspolitischen Katastrophe“.

Die jetzige stellvertretende SPD-Vorsitzeden Carola Reimann legt aktuell nach: Das Betreuungsgeld führe dazu, „dass Kindern Entwicklungschancen vorenthalten werden.“  Die SPD in Berlin ist hingegen schon lange weiter. Dort diskutiert man bereits offen über eine Kitapflicht, um die letzten resistenten Eltern zwangsweise zur Vernunft zu bringen.

Den Krippen fehlt Personal 

Vor wenigen Wochen erst erklärte mir Vera Reiß, SPD-Staatssekretärin im Bildungsministerium Rheinland-Pfalz in einer Podiumsdiskussion in Mainz wörtlich, keine Mutter könne ihrem Kind das bieten, was eine Krippe einem Kind zu bieten hätte. Ja stimmt, ich kann meinem Kind keine überfüllte Gruppe bieten mit einem Personalschlüssel von teilweise acht Kleinstkindern auf eine Erzieherin, wie es aktuell eine Studie der Bertelsmannstiftung bezifferte. Die zeigte,  dass in manchen Bundesländern selbst die unterirdischen Betreuungsschlüssel auf dem Papier durch die Realität noch einmal unterboten werden.

Seit Jahren wird die schlechte Qualität in den Krippen angeprangert, die nicht am vorhandenen Personal, sondern vor allem am fehlenden Personal scheitert.  Laut Bertelsmann müsste ein Drittel mehr Erzieherinnen eingestellt werden. Derzeit kann man mancherorts froh sein, wenn das Prinzip Sauber-Sicher-Satt noch umgesetzt werden kann, von den oft bemühten, aber in der Regel völlig überlasteten Erzieherinnen. Wir sprechen hier von Babys, kleinen Kindern, die weder sprechen, noch laufen, noch alleine essen können. Da reich sauber-sicher-satt nicht aus. Diese Kinder brauchen kein „frühkindliche Bildung“ sondern das einzige, was kein Geld der Welt kaufen kann: Liebe.

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