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Ärger

Massive Kritik an Gender-Mainstreaming

Bayern / Lesedauer: 7 min

Massive Kritik an Gender-Mainstreaming
Veröffentlicht:30.10.2016, 16:47

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Auch in linksliberalen Blättern droht der durchaus notwendige Streit um die Rolle der Geschlechter zur Lachnummer zu verkommen. Spätestens seit – zum Teil ernsthaft – diskutiert wird, ob die grünen Männchen an Fußgängerampeln einer Geschlechtsumwandlung bedürfen. Da macht es Hoffnung, dass die Debatte im Katholizismus angekommen ist. Zum Beispiel im Diözesanrat der Katholiken in der Augsburger Diözese. Der hat das Thema auf einer Tagung sehr ernst genommen und entdeckt, warum die Sache nicht weiter aus dem Ruder laufen sollte – vor allem im Interesse der Frauen.

Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz ist Philosophieprofessorin im Unruhestand. Den nutzt die resolute ältere Dame, um mit Macht gegen das zu kämpfen, was aus ihrer Sicht die Menschen krank zu machen droht. Egal ob Männlein oder Weiblein, Gender-Mainstream ist für die Geisteswissenschaftlerin ein Angriff auf die ganz persönliche Würde der Menschenkinder. Weil sie ihre Identität verlieren, wenn sie ihr Geschlecht verleugnen sollen. Es sei an der Zeit einzusehen, sagt die Frau mit dem Doppelnamen im Augsburger St.-Ulrich-Haus, „dass wir Mann und Frau sind und das auch leben sollten – und genießen“.

Spannend zuzuhören, wie Christenmenschen die Leibhaftigkeit beschwören unter dem Eindruck einer sexuellen Konterrevolution. Wie sie beklagen, dass die Gleichmacherei die Lebensfreude schmälert und Sinnkrisen befördert. Aber Frau Professor hat auch frohe Botschaften: In den Seminaren zur natürlichen Empfängnisverhütung, die sie betreut, wenn sie nicht gerade an Gender-Büchern schreibt, seien die allermeisten Frauen „grün“ gestrickt. Und das ein halbes Jahrhundert nach der sogenannten Revolution der Antibaby-pille.

„Abschaffung der Frau“

Es ist nicht nur das gewachsene Misstrauen gegen Chemie im Körper, das junge Frauen antreibt, in den Pillenstreik zu gehen, sagt die Referentin. Zum Kern des Unbehagens gehöre auch das wachsende Misstrauen gegen die immerwährende Verfügbarkeit, die derartige Verhütung Frauen aufzwinge. Die ihnen auch das Recht auf eine Sexpause nimmt, wie von der Natur eigentlich vorgesehen. Und letztendlich hauptsächlich Macho-Männern nützt, die sich aus der Vaterrolle stehlen.

Mitunter herrscht Unruhe im Saal. Zum Beispiel, wenn die Philosophin behauptet, dass die Rollenverteilung von Mann und Frau von der Schöpfung gewollt und vorgegeben sei. Und die Gender-Mode aus feministischer Sicht „sicher ein Rückschritt“ sei, denn am Ende stehe nicht wahre Gleichberechtigung, sondern „die Abschaffung der Frau“. Wie es auch in einem Infoblatt vom „Verein deutscher katholischer Lehrerinnen“ nachzulesen ist. Dort steht, dass die Gleichmacherei vor allem im Interesse der Wirtschaft liege, die „das angebliche Brachliegen der Fähigkeiten gut ausgebildeter Frauen“ beklagt. Und im Interesse des Staates, der darauf aus sei, „Sozial- und Steuereinnahmen“ auch von möglichst allen Frauen zu kassieren.

Aus solcher Sicht kann es nur logisch sein, wenn die Gender-Lehre auch in die Lehrpläne der Schulen einzieht. Sogar im katholischen Süden: Bayerns CSU-Kultusminister Ludwig Spaenle hat erst die Notbremse gezogen, als entsprechende Unterrichtsvorgaben für den Freistaat öffentlich ruchbar wurden. Jetzt wird das weitgehend geschlechtsneutral formulierte Regelwerk noch mal überarbeitet. Josef Kraus, Präsident im Deutschen Lehrerverband und bekennender Bayer, erinnert in Augsburg an den Massenprotest gegen entsprechende Lehrplanmodernisierung in Baden-Württemberg: „Das war eine bürgerliche Revolution.“ Und: „Manchmal würde ich mir wünschen, dass Eltern mehr auf die Barrikaden gehen.“

Entwurf erst mal im Giftschrank

Wenn es nach den Gender-Apologeten geht, soll Schulunterricht nicht nur möglichst geschlechtsneutral werden, sondern auch alle Möglichkeiten sexueller Orientierung wertneutral vermitteln. „Die Vielfalt der Lebensformen und die Themen Hetero-, Homo-, Bi-, Trans- und Intersexualität werden dabei vorurteilsfrei von der Lehrkraft angesprochen,“ heißt es im bayerischen Lehrplanentwurf, den Minister Spaenle erst mal in den Giftschrank verbannt hat. Auch zur Freude eines jungen Lehrers, der in der Augsburger Diözesanratsvollversammlung spontan schildert, wie das ist, wenn Eltern eines Achtjährigen ihren Verdacht offenbaren, dass ihr Bub womöglich lieber Buben mag. Wie er Grundschülern erklären soll, wie solches Anderssein aussieht, fragt der Mann, und dabei nicht riskieren, dass der Betroffene eben doch Diskriminierung erfährt?

Die Augsburger Referenten ersparen sich und ihrem Publikum wohlfeile Fallbeispiele für womöglich natürliches Rollenverhalten nach dem Motto, dass Buben Krieg und Mädchen mit Puppen spielen. Aber als Lehrerpräsident Josef Kraus Toleranz einfordert gegenüber Spielarten menschlicher Sexualität („Die Akzeptanz dieser Menschen ist selbstverständlich“), gibt es keinen Widerspruch, nicht einmal ein Murren. Dass der Christen-Gott keinen Menschen ablehnt, hat sich wohl weit herumgesprochen.

Vielmehr gilt es scheinbar, das Nicht-Anderssein zu rechtfertigen. Professor Johannes Schroeter, Vorsitzender im Familienbund im Erzbistum München und Freising, vergleicht die Herausforderung mit den Umbrüchen jener Zeit, in der die Steinzeitmenschen von Jägern zu Bauern wurden. Der Wandel biete auch Chancen. Weil Partnerschaften nicht mehr nach der alten Bauernweisheit „Schönheit vergeht, Hektar besteht“ begründet werden, sondern mehr der Herzensstimme folgen könnten. Er zitiert den Galaterbrief des Apostels Paulus: „Es hat darum auch nichts mehr zu sagen, ob ein Mensch Jude ist oder Nichtjude, ob im Sklavenstand oder frei, ob Mann oder Frau. Durch eure Verbindung mit Jesus Christus seid ihr alle zu einem Menschen geworden.“

Also gibt’s den Ruf nach Gleichberechtigung schon in der Bibel. Und er ist bis heute wohl unerhört. Denn im Urteil, dass es an der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hapert, sind sich die in Augsburg Versammelten einig – vom gleichen Lohn über die Karrierechancen bis zur Doppelbelastung jener berufstätigen Mütter, die noch immer darauf warten, dass das moderne Männerbild auch auf ihren Partner zutrifft. Da ist sogar Frau Gerl-Falkovitz ganz bei den Emanzipierten und verrät in einem vielsagenden Nebensatz, was sie täte, „wenn ich Bischöfin wäre“. Was sie in dieser Kirche ja nicht werden könnte, obwohl sie davon überzeugt ist, dass Frauen eine eigene „Spiritualität“ für die Seelsorge mitbrächten.

„Es geht um Augenhöhe“

Einigkeit also, zumindest in der Überzeugung, dass es noch viel zu tun gibt. Auch in der Kirche. Sabine Slawik, Vizepräsidentin im Katholischen Deutschen Frauenbund, war auf dem Podium eigentlich die Rolle zugedacht, die Position der Gender-Bewegung zu vertreten. Sie sagt am Ende, dass sie da womöglich etwas falsch verstanden habe. Denn auch ihr geht es nicht um Ampelmännchen-Quatsch oder geschlechtsneutrale Formulierungen in Behörden-drucksachen: „Es geht nicht darum, dass man in einen anderen Körper schlüpft, es geht um Augenhöhe!“ So gesehen hätten Frauen allen Grund, kräftig zu wachsen. Da bleibt wohl nur die Frage, ob alle gesellschaftlichen Gruppen solches Wachstum fördern – oder das Feld den Gender-Ideologen überlassen?

Beim Pausenkaffee macht eine ganz andere Geschichte die Runde. Eine Lehramtsstudentin, bekennende Lesbe, gehörte kürzlich zu den Jahrgangsbesten beim bayerischen Staatsexamen. Auf den Schuldienst hat sie trotzdem verzichtet. Nicht, weil sie das Kultusministerium wegen ihrer sexuellen Verortung nicht nehmen wollte, sondern weil sie im Referendariat zu spüren bekam, wie grausam Kollegen sein können. Und damit meint die Betroffene explizit weniger die Zoten-Männer, sondern mehr die Frauen, die ihr Anderssein auch aus Karrieredenken instrumentalisierten. Auch in solchem Kreis scheint das Anliegen christlicher Toleranz noch nicht ganz angekommen, trotz Gender-Mainstream.

Carmen-Andrea Reichert-Schuhwerk, Diözesanrätin und Fachärztin aus Sigmarszell, hat auf der Versammlung geschildert, wie sehr es nach ihrem Eindruck selbst unter Nobelpreisträgern auf deren jährlichem Lindauer Treffen am Frauenbild hapert. Aber die Medizinerin nimmt es gelassen: „Männer und Frauen sind halt unterschiedlich.“ So gesehen ließe sich durchaus vermuten, dass selbst Gender eine Männer-erfindung ist. Und dass viele Frauen das noch nicht gemerkt haben.