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  3. Italien: Ökonomen spielen den Euro-Ausstieg durch

Wirtschaft Italien

Dagegen wäre Griechenland ein Kinderspiel

Politische Sorgen halten Anleger in Atem

Die Spekulationen über baldige Neuwahlen in Italien treiben die Anleger in die Defensive. Wie sehr das schuldengeplagte Land zum Belastungsfaktor wird, schätzt Kapitalmarktanalyst Robert Halver ein.

Quelle: N24

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Italien ist mit mehr als zwei Billionen Euro so hoch verschuldet wie kein anderes Land der Euro-Zone. Die Märkte werden allmählich nervös. Erste Ökonomen spielen bereits Ausstiegsszenarien durch.

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„Liebling, ich habe die Bank gerettet.“ So könnte Italiens Wirtschafts- und Finanzminister Pier Carlo Padoan derzeit zu Hause erklären, was für einen enorm wichtigen Job er macht. Nach monatelangem Ringen hat die EU-Kommission vor wenigen Tagen dem Rettungsplan der italienischen Regierung für die Krisenbank Monte dei Paschi di Siena zugestimmt.

Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager und der italienische Superminister einigten sich grundsätzlich auf die Bedingungen für staatliche Hilfen. Voraussichtlich 6,6 Milliarden Euro muss Rom in das älteste Geldhaus der Welt pumpen. Die von Padoan eingefädelte Rettung der Krisenbank ist die größte Staatsintervention im Finanzsektor seit der Nationalisierung der italienischen Kreditinstitute zur Zeit der Mussolini-Diktatur 1933.

Die Abwendung der Bankenpleite war nicht die einzige positive Nachricht, die Padoan verkünden konnte. Im ersten Quartal ist die Wirtschaft seines Landes weitaus stärker gewachsen als erwartet. Laut Statistikbehörde Istat wuchs die Ökonomie zwischen Januar und März 2017 um 0,4 Prozent, doppelt so schnell wie angenommen.

Großer Risikoaufschlag für Italien

Alles paletti in Italien also? Nicht ganz. Dass es nicht ganz rund läuft im schönen Land im Süden, signalisieren schon die Finanzmärkte. Sowohl die Anleihen- als auch die Kreditbörsen künden von Ungemach.

Quelle: Infografik Die Welt

Die viel beachteten Risikoaufschläge der italienischen Staatspapiere gehen seit Tagen nach oben. Aktuell muss der italienische Staat für zehnjährige Anleihen fast zwei Prozentpunkte mehr Zinsen zahlen als die Bundesrepublik. Doch nicht nur gegenüber dem wirtschaftsstarken Deutschland hat sich der Risikoaufschlag (Spread) zuletzt deutlich erhöht, auch gegenüber anderen Euro-Nationen.

Besonders aussagekräftig ist der Vergleich mit Frankreich. Investoren schätzen Kredite an Rom als deutlich riskanter ein als die an Paris, so sehr, dass sie einen Spread von 155 Punkten (1,55 Prozentpunkte) verlangen. Seit 2014 haben die Märkte keinen so großen Risikoaufschlag mehr gesehen.

Die Kreditausfallversicherungen signalisieren ebenfalls steigende Vorbehalte. In nur einer Woche ist die messbare Pleitewahrscheinlichkeit um einen Punkt gestiegen. Die Akteure beziffern das versicherbare Risiko, dass Italien in den kommenden fünf Jahren in Schieflage gerät, auf 13,8 Prozent.

Dagegen sind die Händler gegenüber anderen Ländern wie Deutschland, Frankreich oder auch Portugal zuletzt deutlich optimistischer geworden.

Radikale ökonomische Konzepte

Seit zu Beginn voriger Woche offenbar wurde, dass es in Italien zu vorgezogenen Neuwahlen in diesem Herbst kommen könnte, sind die Märkte in Unruhe. Mit dem Urnengang gehen zwei Risiken einher. Das erste: Bei der Wahl könnten die populistischen Kräfte die Mehrheit erringen und das Land aus dem Euro treiben.

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Das zweite Risiko: Getrieben von der Angst, könnten die etablierten Parteien noch vor der Neuwahl in radikalen ökonomischen Rezepten Zuflucht suchen. In den vergangenen Wochen diskutierte das Land über die mögliche Einführung von Staatszertifikaten, mit denen Bürger und Firmen ihre Steuerschulden beim italienischen Fiskus begleichen können. Es wäre nichts anderes als die Geburt einer Parallelwährung im drittgrößten Euro-Land.

„Das Risiko kommt zurück nach Europa“, sagt Erwin Grandinger, politischer Analyst bei der EPM Group in Berlin und intimer Italien-Kenner. „Die nächsten 18 Monate werden kritisch.“ Ein Risikofaktor ist die unkalkulierbare politische Dynamik in Italien. Den Umfragen zufolge könnte die Anti-Establishment-Partei 5 Stelle (Fünf Sterne) die stärkste politische Kraft ins Parlament einziehen.

Drängen auf Schuldenerleichterungen

„Keiner weiß genau, was die Bewegung will. Ein Teil der Mitglieder hält den Euro für ein Übel und will eine Volksabstimmung über die Mitgliedschaft in der Währungsunion.“ Auch in anderen Parteien sind euroskeptische Kräfte stark. Der Knackpunkt ist jedoch die Haltung der Beppe-Grillo-Partei 5 Sterne.

„Die Lage ist umso unübersichtlicher, da 5 Stelle die Mitglieder befragen will“, sagt Grandinger. Der Ausgang der Befragung zum Euro werde dann wahrscheinlich offizielles Parteiprogramm. Doch wie die Basis genau denkt, ob sie zum Beispiel schnellstmöglich raus will aus dem Euro oder ob sie eine Parallelwährung anstreben, sei schwer einzuschätzen.

Quelle: Infografik Die Welt

„Zwischen heute und Frühjahr 2018 ist die kritische Phase“, glaubt der Politexperte. Danach werde vermutlich ein neuer EU-Vertrag diskutiert werden, der Rom Schuldenerleichterungen bringt. Bis dahin seien die Italiener allerdings ziemlich auf sich allein gestellt, zumal auch die Billiggeldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) im Sommer 2019 ausläuft, was die Finanzierungsbedingungen des italienischen Staats erschwert.

Der Draghi-Exit oder kurz Drexit, das Ende der Amtszeit des jetzigen italienischen EZB-Präsidenten im November 2019, muss Rom Sorgen bereiten. Denn die Verschuldung des Landes ist kaum nachhaltig. Im Moment steht der südeuropäische Staat mit 2,3 Billionen Euro – das sind 133 Prozent seiner Wirtschaftsleistung – in der Kreide.

Das entspricht einer Schuldenlast von 37.000 Euro pro Kopf. In Deutschland belaufen sich die Staatskredite auf 23.000 Euro je Bürger.

Binsen von der Mediobanca

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Die Höhe der Verschuldung erinnert an Griechenland. Doch es gibt zwei wesentliche Unterschiede: Zum einen ist es Italien gewohnt, mit hohen Verbindlichkeiten zu leben. Schon Anfang der Neunzigerjahre wurde die Quote von 100 Prozent überschritten. Zum anderen liegen die meisten Staatsschulden in den Händen von Inländern. Nur ein Drittel der Kredite wird von Nicht-Italienern gehalten: Die meisten Geldgeber sind also eigene Bürger und Banken.

Einen aufsehenerregenden Vorschlag hat die italienische Mediobanca in die Diskussion eingebracht: Die Analysten der Bank stellen fest, dass die Schulden die Wachstumschancen erdrücken, ohne Wachstum aber kein Entkommen aus den Schulden möglich ist. Sollte es nicht bald zu einer wundersamen Wende kommen, sei eine Umstrukturierung der Verbindlichkeiten oder sogar ein Euro-Austritt wohl unumgänglich.

„Wenn die EZB ihr Anleihen-Kaufprogramm auslaufen lässt, ist der letzte große Financier des defizitären italienischen Staats weg“, schreiben die Mediobanca-Experten in ihrer viel beachteten Studie. Auch die deutschen Wirtschaftsweisen haben schon vorgeschlagen, im Ernstfall in einem ersten Schritt die Laufzeiten der italienischen Anleihen zu verlängern, um finanziellen Spielraum für Rom zu schaffen.

Fest steht, dass eine Schuldenkrise in Italien – der drittgrößte staatliche Schuldner der Welt – Griechenland fast wie ein Kinderspiel aussehen lassen würde.

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