13 Jahre war Rafah alt, als sie die Schule abbrach und ihre Eltern und sechs Geschwister verließ, um mit ihrem neuen Ehemann im libanesisch-syrischen Grenzgebiet ein gemeinsames Zelt zu beziehen. "Ich fühlte nichts, aber ich hatte keine andere Wahl", erzählte sie später einer Reporterin einer Lokalzeitung. Rafahs Vater hatte die Beziehung arrangiert. Sie habe nichts über Sex gewusst, die erste Nacht sei ein Horror gewesen. Inzwischen hat die Minderjährige, die wie ihr 38 Jahre alter Mann aus dem syrischen Homs geflüchtet war, zwei Kinder. "Ich bin unglücklich, aber ich muss mich mit diesem Leben abfinden", sagt sie.

Rafah ist kein Einzelfall. Viele Kriegsflüchtlinge aus Syrien sind froh, wenn sie für ein Kind weniger sorgen müssen. Und bessergestellte Männer oder reiche Araber aus den Golfstaaten nutzen die finanzielle Notlage der Entwurzelten, um sich eine junge Zweit- oder Drittfrau zu besorgen. Für viele ist das Menschenhandel: "Junge Mädchen werden verheiratet gegen einen Kaufpreis oder um die Miete ihrer Familie finanziert zu bekommen", sagt Rita Chemaly von der Nationalen Kommission für Frauen im Libanon.

Für konservative islamische Kleriker im Jemen und Saudi-Arabien sind bereits Mädchen im Alter zwischen zehn und zwölf Jahren reif für die Ehe. Sie berufen sich auf den Propheten Mohammed, der mit Aischa ein Kind zur Frau hatte. "Unsere Mütter und Großmütter wurden verheiratet, als sie zwölf waren", erläuterte der saudische Obermufti Abdel-Asis al-Scheich. "Eine gute Erziehung bereitet ein Mädchen darauf vor, alle ehelichen Pflichten in diesem Alter zu erfüllen." Der Jemen hat wegen dieser Sitten eine der höchsten Müttersterblichkeiten der Welt.

Anders als auf der Arabischen Halbinsel haben viele Nahoststaaten entlang des Mittelmeeres Gesetze, die ein Mindestalter von 18 Jahren bei der Hochzeit vorsehen – wobei sie Ausnahmen zulassen. In Ägypten werden laut einer Umfrage des Nationalen Frauenrates 22 Prozent aller Mädchen minderjährig verheiratet. Auch in den beiden relativ aufgeklärten Staaten Libanon und Jordanien steigen die Zahlen seit vier Jahren spürbar an. Verantwortlich dafür ist vor allem die millionenfache Zuwanderung syrischer Flüchtlinge. In Jordanien ist inzwischen nach offiziellen Angaben jede dritte syrische Braut ein Kind oder ein Teenager. 

Kinderehe wird nicht Behörden gemeldet

Die Dunkelziffer liegt wahrscheinlich weitaus höher. Denn die sogenannten Urfi-Ehen fördern diesen Missstand. Dabei handelt es sich um einen informellen Vertrag nach islamischem Recht, der den Behörden nicht gemeldet wird. Der Mann kann die Verbindung jederzeit annullieren, und es drohen keine Strafen, wenn die Bräute minderjährig sind.

Für die Mädchen aber ist mit der aufgezwungenen Hochzeit ihre Zukunft besiegelt. Die meisten brechen nach der Grundschule ab und werden schwanger, was eine große Gefahr für ihre Gesundheit bedeutet. Viele werden Opfer häuslicher Gewalt, wenn die meist deutlich älteren Männer sie vergewaltigen oder verprügeln.

Mit Kunst gegen die Zwangsheirat

So wie Jasia aus dem Lager Zataari in Jordanien, die von ihrem Vater an einen entfernten syrischen Cousin verheiratet wurde. 20 Tage nach der Hochzeit begann er, sie zu schlagen, erzählte sie. Jasia rannte davon und kehrte nach einigen Tagen zur Familie ihres Bräutigams zurück. Die versprach, sie künftig gut zu behandeln. Als sich nichts änderte, holte der Vater das verzweifelte Mädchen schließlich wieder nach Hause. Heute bereut er die von ihm durchgesetzte Ehe. Arbeitslosigkeit, erzwungenes Nichtstun und Zukunftsangst würden syrische Familien dazu verleiten, ihre Töchter zu früh zu verheiraten, sagt er. 

Elham El-Dessouky ist ägyptische Fotografin, die mit ihrer Kamera das heikle Thema anprangert. Auf ihren Bildern zeigt sie junge Mädchen in wallenden Brautkleidern. Die Hände der jungen Bräute sind mit Handschellen gefesselt, darin baumelt eine Puppe. "Ich will mit meinen Arbeiten das Bewusstsein der Gesellschaft schärfen", sagt die Künstlerin. "Solche Hochzeiten müssen verboten werden, weil sie das Leben der Mädchen ein für allemal zerstören."